Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Diskussion über die deutsche Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern erneut entfacht und uns allen ist schlagartig bewusst geworden, dass es so nicht weiter gehen kann, nicht weiter gehen darf …
Die schon länger währende Drohung, den Gashahn nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa zuzudrehen, liegt nun auf dem Tisch und ist für einige Länder schon zur Realität geworden. Welche Alternativen hat die Politik, die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten? Ist es die vielfach kritisierte Kernkraft, ist es LNG oder ist es das Neue, Alte Zauberwort Wasserstoff z.B. hergestellt aus erneuerbaren Energien?
Vor diesem Hintergrund haben wir ein Interview geführt mit Dr. Timm Kehler, dem Geschäftsführer und Vorstand von „Zukunft Gas“ mit Sitz in Berlin. Zukunft Gas ist ein Verband mit einer anerkannt ausgewiesenen Expertise. Er bündelt die Interessen der Gasbranchen und ist ein kompetenter Ansprechpartner für die Öffentlichkeit, für die Politik und natürlich für den Verbraucher.
Lieber Herr Dr. Kehler,
schon seit vielen Jahren ist Wasserstoff ein Thema in Politik und in der Wirtschaft, aber irgendwie hatte man immer das Gefühl einer gewissen „Halbherzigkeit“ und es fehlte die Aufbruchsstimmung. Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, auf die wir unendlich lange warten mussten. Automobilhersteller, die verkündet haben, dass der motorisierte Betrieb mit Wasserstoff nicht wirtschaftlich dargestellt werden kann und die fast ganzheitliche Fokussierung auf die E-Mobilität erweckten den Eindruck, Wasserstoff steht in der zweiten oder auch dritten Reihe.
H. Kuschel: Warum und wieso ist Wasserstoff so wichtig für die Energiewende?
Dr. T. Kehler: Wasserstoff bietet als gasförmiger Energieträger große Chancen für das Gelingen der Energiewende. Der Energieträger kann auf verschiedene Arten
CO₂-arm hergestellt werden und zukünftig mit relativ geringen Anpassungen in verschiedenen gasbasierten Anwendungen Erdgas ersetzen. Beim Einsatz von Wasserstoff entstehen keine direkten, lokalen CO₂-Emissionen, sondern nur Wasserdampf. Für den Transport und die Speicherung kann die bereits vorhandene Gasinfrastruktur genutzt werden. Dadurch kann die Energiewende sozialverträglicher gestaltet werden, da weniger Investitionen in neue Infrastruktur notwendig werden.
Wir wissen, dass die Herstellung von Wasserstoff sich sehr komplex gestaltet. Können Sie uns kurz erläutern welche Möglichkeiten es gibt Wasserstoff herzustellen und ist es möglich Wasserstoff zu speichern, wie wir es schon von Erdgas kennen?
Wasserstoff kann vor allem auf drei verschiedene Arten CO₂-arm hergestellt werden: Dampfreformierung in Verbindung mit CCS, Methanpyrolyse und Elektrolyse.
Das aktuell wirtschaftlichste und am weitesten verbreitete Verfahren zur Herstellung von Wasserstoff ist die Dampfreformierung. Dabei wird mithilfe von Wasserdampf der im Erdgas enthaltene Wasserstoff vom Kohlenstoff getrennt. Das dabei entstehende CO₂ kann durch das sogenannte Carbon Capture Storage (CCS)-Verfahren unter der Erde verpresst werden. Das CO₂ gelangt somit nicht in die Atmosphäre, wodurch die Herstellungsart nahezu klimaneutral ist. Eine weitere Herstellungsart ist die Methanpyrolyse, bei der Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, unter Sauerstoffausschluss in die Produkte Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten wird. Wasserstoff kann auch aus erneuerbarer Energie und Wasser im sogenannten Elektrolyse-Verfahren klimaneutral hergestellt werden. Durch dieses Verfahren bietet Wasserstoff auch die Möglichkeit ungenutzte erneuerbare Energie, also zum Beispiel überschüssige Windenergie, in Wasserstoff umzuwandeln, wodurch sie dann speicherbar wird.
Wo kann Wasserstoff sinnvoll eingesetzt werden und kann es z. B. das derzeitige Erdgas zu 100 % ersetzen. Wie wir immer wieder hören, konzentriert man sich zuerst auf die energieintensive Industrie. Wie ist es mit Privathaushalten, wäre da elektrische Wärmepumpen nicht eine gute Alternative zum heutigen Erdgas?
Wasserstoff bietet vielen Sektoren die Chance der Dekarbonisierung. Zum einen ist der Einsatz in der Industrie sehr wichtig, da dort viele thermische Prozessverfahren nur schwer elektrifizierbar sind. Aber auch im Wärmemarkt bietet Wasserstoff großes Klimaschutzpotenzial. In Deutschland heizen 50% der Haushalte mit Gas. Wir gehen davon aus, dass ein Einbau von Wärmepumpen in Bestandsgebäuden bei 2/3 aller Gebäude nicht oder nur mit einer Kernsanierung möglich wäre. Über 50 % der Gebäude in Deutschland sind nach dem Krieg und vor der ersten Wärmeschutzverordnung gebaut.
Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass die Hersteller von Wärmeerzeugern sich in der Vergangenheit sehr schwer getan haben Aussagen zu treffen, ob sich in ihrem Portfolio Geräte befinden, die entweder zu 100% Wasserstoff verbrennen oder zumindest bei einem gewissen Anteil noch ordentlich funktionieren.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Gerätehersteller, hinsichtlich Gerätetauglichkeit für den Einsatz von Wasserstoff?
Moderne Gasheizungen vertragen schon heute eine Wasserstoff Beimischung von bis zu 20 Prozent. Gasheizungen, die in Zukunft auf den Markt kommen, lassen sich schnell und kostengünstig mit einem Umstell-Kit auf die Nutzung von 100 Prozent Wasserstoff umrüsten oder sind bereits ab Werk dazu imstande. Die Heizgerätehersteller haben sich laut Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) dazu verpflichtet, dass dies für Geräte gilt, die ab 2025 auf den Markt gelangen.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Russlandkrise stellt man sich natürlich die Frage, könnte Wasserstoff das Erdgas komplett ersetzen und vor allem werden dann die benötigten Mengen überhaupt verfügbar sein?
Die Gasbranche ist aktiv an der Transformation zur Wasserstoffwirtschaft beteiligt. In Deutschland sind bereits zahlreiche Wasserstoffprojekte in Betrieb, im Bau oder in Planung. Jetzt ist die Politik gefragt, die richtigen Weichen für einen schnellen Hochlauf des Wasserstoffmarkts zu stellen. Damit das Potenzial des Energieträgers möglichst schnell in vollem Umfang genutzt werden kann, ist es vor allem wichtig, die bereits vorhandene Gasinfrastruktur zu nutzen und nicht einzelne CO₂-arme Herstellungsarten gegenüber anderen zu bevorzugen. Wir rechnen damit, dass Ende der 2020-er Jahre die ersten Verteilnetze auf 100 % Wasserstoff umgestellt werden.
Herr Dr. Kehler, vielen Dank im Namen der, EnergieGemeinschaft Düsseldorf das sie sich die Zeit genommen haben.
Statements der Hersteller, Viessmann, Bosch-Buderus Vaillant und Weishaupt zum Thema
»Wärmeerzeuger, die entweder mit 100 % oder teilweise mit Wasserstoff betrieben werden«.